Good bye ‚die tierbefreier e.V.‘ – Willkommen ‚die tierbefreier*innen e.V.‘

Good bye ‚die tierbefreier e.V.‘ – Willkommen ‚die tierbefreier*innen e.V.‘

Endlich haben wir es getan! Seit Jahren sprechen und diskutieren wir über eine längst überfällige Umbenennung des Vereins. Im Rahmen unserer letzten Jahreshauptversammlung im November 2021 haben wir uns gemeinsam zu diesem Schritt entschieden und dabei auch direkt unser Selbstverständnis überarbeitet!

„Tierbefreiung“ meint einen kontinuierlichen Prozess, hin zu einem gerechten und solidarischen Miteinander. Auch wir sind natürlich Teil dieses Prozesses und so wurde es längst Zeit für eine selbstkritische Weiterentwicklung und Veränderung unsererseits. Schauen wir aber zunächst in die eigene Geschichte: Im Jahr 1985 gründete sich der Bundesverband der TierbefreierInnen (BvdT), der sich 1998 in die tierbefreier e.V.  umbenannte. Was viele nicht wissen, ist, dass die kleine Schreibweise des Vereinsnamens eine Bedeutung hatte: „[…] Und es wurden die tierbefreier  geboren. Bewusst in kleiner Schreibweise. So soll deutlich gemacht werden, dass es sich nicht um den männlichen Tierbefreier handelt, sondern um beide – die Tierbefreierin und der Tierbefreier, im Plural eben die tierbefreier.[…]“

Doch gibt es ein größeres Spektrum an Geschlechtern und damit auch Aktivist*innen, welche weder Tierbefreier, noch Tierbefreierin sind. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in welcher alle in ihr lebenden und agierenden Individuen als handelnde Subjekte wahrgenommen werden. Um dieser Wahrnehmung zu entsprechen, bedarf es auch ihrer sprachlichen Sichtbarmachung. Und da wir als ‚die tierbefreier*innen e.V.‘ den Anspruch erheben, unseren Aktivismus nicht nur auf nichtmenschliche Tiere* zu beschränken, sondern für die Befreiung aller Tiere* – einschließlich Menschen! – einzutreten, ist es uns ein besonderes Anliegen, dies auch in unserem Namen widerzuspiegeln.

Denn gender- und diversitygerechte Sprache – ein vieldiskutiertes Thema in den vergangenen Jahren – kann eine Möglichkeit sein, intersektionale Befreiungskämpfe zu realisieren. Daher ist unsere Namensänderung als ein machtkritisches und politisches Handeln zu verstehen. Dieses zeigt die Bereitschaft, alltägliche Selbstverständlichkeiten, wie u.a. die Norm der Zweigeschlechtlichkeit (Heteronormativität), kritisch zu hinterfragen. Wir sind uns über unsere Verantwortung bewusst, dass die Art und Weise unserer Sprache, ob unbewusst oder gewollt, immer eine politische Haltung transportiert. Wir haben uns daher der Thematik der gender- und diversitygerechten Sprache in besonderem Maße gewidmet.

Die gender- und diversitygerechte Sprache anzuwenden ist für viele eine echte Herausforderung, auch wenn es um die gesprochene Sprache geht. Doch wir möchten euch ermutigen den Schritt zu wagen! Denn mit einer gender- und diversitygerechten Sprache könnt ihr dazu beitragen, die Sichtbarkeit von LSBTIQA*+ zu erhöhen und auf die Konstruktion von Kategorien aufmerksam zu machen – zugunsten einer sichtbaren Vielfalt, Heterogenität und Unabgeschlossenheit von Differenzkategorien. Mit unserer Umbenennung möchten wir als ‚tierbefreier*innen‘ ein Zeichen setzen und gemeinsam mit euch für eine gerechtere Welt kämpfen!

Die gendergerechte, auch gendersensible Sprache genannt, entstammt den 1970er Jahren und wurde begründet durch feministische Wissenschaftler*innen, welche sich mit dem Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit auseinandergesetzt haben und inwieweit Sprache selbst die Wahrnehmung von Personen beeinflusst. Im Zuge dessen wurde Kritik am sogenannten „generischen Maskulinum“ laut, d.h. an der männlichen Schreibweise (z.B. Tierbefreier), welche vermeintlich genderneutral sei und damit andere Geschlechter mitmeinen solle. Forschungen zeigen jedoch, dass bei der männlichen Form auch häufig angenommen wird, dass es sich um männliche Personen handele. Folglich beinhaltete die Kritik, dass die Verwendung des generischen Maskulinums nichtmännliche Personen unsichtbar mache.[1] Dieser Umstand führte zu dem Anliegen, auch im Bereich Sprache eine Geschlechtergleichstellung zu erzielen, indem neue Schreibweisen angewandt wurden: Binnen-I (TierbefreierInnen), Querstrich (Tierbefreier/innen), Doppelnennung (Tierbefreier und Tierbefreierinnen), sogar eine weibliche Form (Tierbefreierinnen), welche nichtweibliche Personen mitmeint.[2]

Das Problem bei diesen Schreibweisen ist jedoch, dass all diese lediglich Personen innerhalb der Zweigeschlechtlichkeit adressieren, d.h. nur Männer* und Frauen*. So folgte durch eine Kritik der LSBTIQA*+-Bewegung und dank trans*Aktivist*innen im Jahr 2000 eine neue Schreibweise: der Unterstrich, auch bekannt als Gendergap (Tierbefreier_innen). Im Gegensatz zu den anderen Schreibweisen, erhebt diese den Anspruch, auch Personen fernab der Zweigeschlechtlichkeit zu berücksichtigen.[3] Der Unterstrich wurde daraufhin auch in anderen politischen Bewegungen eingeführt, um auf eine Konstruktion von Differenzkategorien aufmerksam zu machen, z.B. im Bereich der Fat Studies und der Disability Studies. Fettaktivist*innen verwenden den Unterstrich bei dem Wort ‚dick_fett‘, um auf die Konstruiertheit von Körpernormen zu verweisen.[4] In den Disablity Studies wird von Be_hinderung gesprochen und Menschen, welche be_hindert werden. Der Unterstrich markiert dabei, dass eine Be_hinderung keine abgegrenzte Kategorie ist und sich im Laufe des Lebens verändern kann. Zudem verschiebt er eine zuvor von außen, defizitäre Perspektive hin zu einem selbstbestimmten Subjekt.[5] Hier wird bereits deutlich, dass gender- und diversitygerechte Sprache schon immer Teil politischer Kämpfe war und ist.

Auch in der Tierbefreiungsbewegung gibt es den Begriff ‚nichtmenschliche Tiere‘, um auf die Konstruktion der Kategorie ‚Tier‘ hinzuweisen, welche eine Unterscheidung zum Menschen vornimmt und diese unterordnet. Um darauf zu verweisen, wird häufig auch von Tieren* und Menschen* gesprochen, welche damit ‚nichtmenschliche Tiere‘ und ‚menschliche Tiere‘ meint.

Nun haben wir uns aber für die Schreibeweise ‚die tierbefreier*innen e.V.‘ entschieden, unter Anwendung des sogenannten Genderstars (*). Diese Schreibweise ist heute, neben dem Doppelpunkt (Tierbefreier:innen), die häufigste Anwendungsform, welche ebenfalls den Anspruch erhebt, Konstruktionscharakter offenzulegen und alle Geschlechter zu repräsentieren.

Der Doppelpunkt war für uns dagegen keine Alternative. Ursprünglich hatte diese Schreibweise zum Ziel, inklusiv zu sein und speziell Menschen mit Sehbe_hinderung einzubeziehen, da einige Vorleseprogramme diese Schreibweise in Form einer kurzen Sprechpause (Glottisschlag, Vokallaut) verarbeiten können. Doch wird der Doppelpunkt von der Zielgruppe abgelehnt. Der deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. nennt den Doppelpunkt als ausdrücklich nicht empfohlene Schreibweise![6]

Gender- und diversitygerechte Sprache mag oft ungewohnt sein. Doch Sprache verändert sich fortlaufend; an viele Veränderungen haben wir uns längst gewöhnt. Und auch den Glottisschlag, die kurze Sprechpause vor dem Vokal, machen wir in anderen Fällen der deutschen Sprache ganz selbstverständlich. Wir machen ihn beispielsweise bei vielen zusammengesetzten Worten, wie Vogel-Ei oder Back-Ofen. Auf einfache Art und Weise können wir also dazu beitragen, Menschen sprachlich sichtbar zu machen.

[1] Vgl. Karsch (2017), S. 153
[2] Vgl. Bohle (2020), S. 58
[3] Vgl. Krämer (2015), S. 25 f.
[4] Vgl. Menzinger (2017), S. 14 f.
[5] Vgl. Köbsell (2016), S. 89
[6] Vgl. DBSV (2021)

Literaturverzeichnis:
  • Karsch, Margret (2017): Feminismus. Geschichte – Positionen. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 37 – 60.
  • Bohle, Ulrike (2020): Strategien und Mittel des Genderns zwischen Verfestigung und Destabilisierung von Geschlecht. In: Betrifft Mädchen: Geschlechter*gerecht – Sprechen. Kein Leitfaden_, Jg. 33, Heft-Nr. 2, S. 56 – 61.
  • Krämer, Judith (2015): Lernen über Geschlecht. Genderkompetenz zwischen (Queer-) Feminismus, Intersektionalität und Retraditionalisierung. Bielefeld: transcript Verlag.
  • Menzinger, Anne Sophie (2017): Fat Acceptance Positionen und Praxen einer körperpolitischen Bewegung. Hamburg: Marta Press Verlag.
  • Köbsell, Swantje (2016): Doing Dis_ability: Wie Menschen mit Beeinträchtigungen zu „Behinderten“ werden. In: Fereidooni, Karim / Zeoli, Antonietta P.: Managing Diversity. Diversitätsbewusste Ausrichtung des Bildungs- und Kulturwesens, der Wirtschaft und Verwaltung. Wiesbaden: Springer VS Verlag, S. 89 – 104.
  • DBSV Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (2021): Gendern: https://www.dbsv.org/gendern.html.
  • Hornscheidt, Lann & Sammla Ja’n (2021): Wie schreie ich divers? Wie spreche ich gendergerecht? Ein Praxis-Handbuch zu Gender und Sprache. Hiddensee: w_orte & meer.
  • Kübra Gümüşay (2020): Sprache und sein. München: Hans Berlin.
  • Rocktäschel, Lucia Clara (2021): Richtig gendern für Dummies. Weinheim: Wiley-VCH.
  • Gäckle, Annelene (2014): ÜberzeuGENDERe Sprache. Leitfaden für eine geschlechtersensible und inklusive Sprache. Köln: Universität Köln. 4. Überarbeitete und erweiterte Auflage: https://gedim.uni-koeln.de/sites/genderqm/user_upload/Leitfaden_geschlechtersensible_Sprache_5.Auflage_2017.pdf