Ziviler Ungehorsam

Notwendiger Widerstand und kriminalisierter Protest

Tiere, sowohl menschliche als auch nichtmenschliche, sind empfindungs- und leidensfähige Lebewesen, mit vielfältigen Interessen und individuellen Eigenschaften, Vorlieben und Bedürfnissen. Da sie aber trotz Tierschutzgesetz legal benutzt, lebenslang eingesperrt und getötet werden dürfen und ihr Lebenszweck oft nur vom Nutzen für Menschen bestimmt wird, reicht es nicht, sich auf Gesetze und institutionelle Entscheidungen zu verlassen. Solange ihre Bedürfnisse den Profitinteressen von Agrar-, Lebensmittel-, Bekleidungs- oder Pharmaindustrie untergeordnet und sie zu Waren, Gebrauchsgegenständen, Produktionseinheiten oder Forschungsobjekten degradiert werden, muss etwas getan werden. Die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung wendet vielfältige Aktionsformen an, um Widerstand und Aufklärung zu leisten.

Die Palette der Strategien und Methoden beginnt bei Infoständen, Mahnwachen, Demonstrationen, Boykottaufrufen oder Petitionen, die langfristig zum Erfolg führen können, und reichen bis zu Formen Zivilen Ungehorsams und Direkten Aktionen. Direkte Aktionen, wie die der Tierbefreiungsfront, werden im Unterschied zum Zivilen Ungehorsam im Verborgenen von anonymen Aktiven durchgeführt, da sie weitaus stärkere Repression nach sich ziehen würden.

Formen des Zivilen Ungehorsams

Die nachfolgenden Erläuterungen sind nicht als Aufruf zu verstehen, sondern als Dokumentation häufiger Protestformen.

Durch das Eindringen in Einrichtungen, in denen Tierausbeutung betrieben wird, können Arbeitsprozesse und Betriebsabläufe gestört und Druck auf Verantwortliche ausgeübt werden. Zum Beispiel kann in Tierversuchslabore oder Geschäfte, die Teile toter Tiere verkaufen, eingedrungen werden, um die dort Beschäftigten bei ihrer Arbeit zu stören. Es kann gelärmt und Botschaften hinterlassen und damit öffentliche Aufmerksamkeit hergestellt werden.

Der Einsatz des eigenen Körpers kann helfen, Zufahrtswege oder Ein- und Ausgänge zu blockieren. Neben einfachen Sitz- und Stehblockaden können sich Menschen dabei aneinander, an Bäume, Zäune, Gitter, Eingangstüren,Tore oder andere Gegenstände ketten, um den Betrieb von Geschäften, Schlachthöfen, Mastfabriken und anderen Unternehmen zeitweise lahmzulegen. So können zum Beispiel Tiertransporter gestoppt oder Kund_innen davon abgehalten werden, ein Geschäft zu betreten.

Um Jagden zu stören oder sogar zu verhindern, sollte sich mit Signalwesten, Trillerpfeifen und anderen lärmenden Gegenständen in das Jagdgebiet begeben werden. So können Tiere vertrieben und mit großen Regenschirmen den Jäger_innen die Sicht versperrt werden. Für Angelstörungen werden zum Beispiel Steine verwendet, um die Fische aus der Gefahrenregion zu vertreiben.

Verschiedene Gebäudeteile wie Dächer von Geschäften und Betrieben sowie Tiertransporter können besetzt werden, während der Protest vom Boden aus begleitet wird. Auch Grundstücke können blockiert und besetzt werden. Mit Kletterausrüstungen können Bäume, Masten, Laternen und Geländer genutzt werden, um Botschaften mittels Transparenten zu befestigen und sie so unübersehbar wirken zu lassen, bis die Feuerwehr sie herunterholt.

Unangemeldete Besuche bei Privatpersonen, sogenannte Home-Demos, richten sich ebenso wie Stalking nicht gegen Infrastruktur und Kapital von Tierausbeutungsunternehmen, sondern gegen die Verantwortlichen selbst.

Im Gegensatz zu vereinzelten Protestmails, -Faxen und -Anrufen, in denen die Meinung gegenüber den Konzernen mitgeteilt wird, wird mit Kommunikationsblockaden versucht, die Geschäftskommunikation durch Spam (massenhafter Versand unerwünschter Nachrichten) zum Erliegen zu bringen, indem die Postfächer „verstopft“ und die Telefonleitungen ausgelastet werden. Dazu kann auch zählen, private Nummern und Adressen zu nutzen, um Forderungen und politische Inhalte an Verantwortliche heranzutragen.

Wenn Unternehmen der Tierausbeutungsindustrie auf Messen oder zu anderen Anlässen vertreten sind, kann auf deren Geschäftspraktiken aufmerksam gemacht werden, zum Beispiel mit Flyern, Transparenten, Instrumenten oder Megafonen.

Dabei sind der Kreativität und der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Durch Fälschungen, Übertreibungen oder Verfremdung werden Botschaften überzerrt, kulturelle Codes verändert, Personen und Firmen nachgeahmt oder Situationen inszeniert. Im Namen von Unternehmen oder Behörden können selbstentlarvende Mitteilungen verbreitet, Gegenveranstaltungen zu eigenen Aktionen organisiert oder mittels verstecktem Theater politische Inhalte neu vermittelt werden. Damit soll Verwirrung gestiftet, Diskussionen angeregt, Machtstrukturen offengelegt und andere Menschen erreicht werden, um weiteren Protest zu erzeugen.

Ziviler Ungehorsam ist ein öffentlich sichtbarer Verstoß gegen Gesetze, Regeln oder Normen, um Widerstand zu üben und Ungerechtigkeiten zu thematisieren. Er kann als selbstbestimmtes Handeln und individuelle Reaktion auf strukturelles Unrecht verstanden werden. Die Pflicht zum Ungehorsam wird durch das erkannte Unrecht und dem Verfolgen von als moralisch höherwertig empfundenen Zielen, statt dem Befolgen von Regeln und Gesetzen, legitimiert. Er eröffnet vielfältige Handlungsmöglichkeiten und kann passiv durch Verweigerung als auch aktiv durch den Bruch von Gesetzen geübt werden. Er ist notwendig, um zivilgesellschaftlichen Protest sowie Mitbestimmung und Mitwirkung an politischer Meinungsbildung und gesellschaftlichen Entwicklungen zu ermöglichen und Grundrechte wie Meinungsfreiheit zu garantieren.

Als sichtbarer Widerstand und symbolischer Akt, durch Provokationen sowie offene Gesetzesüberschreitungen, soll Ziviler Ungehorsam möglichst viele Menschen erreichen und die Dringlichkeit der Anliegen vermitteln. Darüber hinaus kann er aber auch Arbeitsprozesse stören oder Verantwortliche unter Druck setzen und Einfluss auf Meinungsbildung und Entscheidungen nehmen. Abhängig von der Auslegung wird Ziviler Ungehorsam von staatlichen Institutionen, wie Gerichten und Behörden, oft kriminalisiert. Da diese Protestformen mit dem Widerstandsrecht legitimiert werden, erfahren sie dennoch weitgehend Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Beispiele dafür sind Aktionen von Greenpeace oder Ankettungen im Rahmen von Castor-Transporten.