Städte für Lebewesen – nicht für Profite!

Städte für Lebewesen – nicht für Profite!

Neuer Infoflyer über antispeziesistische Stadttransformation

Die Unhaltbarkeit des Status Quo in unseren Städten ist vielen Menschen schon lange klar. Und so gibt es von Stadtnatur- und Verkehrswende-Initiativen bis hin zu Gemeinschaftsgärten viele Akteur*innen, die sich für eine sozial-ökologisch-gerechte Transformation der Städte einsetzen. Wir möchten diese Debatte um eine tierbefreierische Perspektive erweitern und die Bedürfnisse und Interessen nichtmenschlicher Tiere in den Blick nehmen und stark machen. Nur wenn die Bedürfnisse aller menschlichen und nicht-menschlichen Tiere respektiert werden, kann es ein gutes Leben für alle geben!


DIN lang gefalzt
Digitaldruck
4/4 farbig Euroskala
Herausgegeben von den tierbefreier*innen Leipzig

Der Flyer ist erhältlich in unserem Shop


Kapitalistische Raumnahme

Die industrielle Landwirtschaft verwüstet im ländlichen Raum natürliche Lebensräume von zahlreichen Tieren wie Füchsen oder Kröten, wodurch diese zur Landflucht gezwungen werden. In den Städten finden sie zwischen dem Asphalt und Beton noch vereinzelt Nischen zum Überleben, werden aber auch hier fortlaufend verdrängt. Sie sind konfrontiert mit Lärm und Gestank und den Blechlawinen auf und am Rand der Straßen. Brachflächen mit vielfältigen, sich selbst organisierenden Tier- und Pflanzenwelten werden zunehmend durch Investor*innenträume verdrängt.* Grünflächen verschwinden rasant und mit ihnen verschwinden die nichtmenschlichen Tiere. Immer seltener hören wir die Nachtigall singen oder sehen eine Eidechse, die sich auf einem Stein sonnt, weil die Habitate kontinuierlich zerstört werden. Jede Lücke im Häuserblock wird geschlossen. Parks und Wälder werden für teure Wohn- oder Büroobjekte zerstört.

*Dabei kommen die Rohstoffe für die Versiegelung der Flächen zum Großteil aus dem Globalen Süden. HeidelbergCement, der weltweit größte Baustoffkonzern im Bereich Beton und Zement, gehört zu den größten Klimakillern Deutschlands. Zerstörte Ökosysteme und vertriebene Menschen sind in der modernen Stadtplanung mit eingepreist. Neokolonialistische Ausbeutungs- und Zerstörungsstrukturen durchziehen alle Bereiche unseres Lebens.

 

Nur ein konsequenter Umbau der Städte, unter Einbeziehung und Beteiligung aller, auch der nichtmenschlichen Bewohner*innen, kann ein gutes Leben für alle schaffen. Wenn die Autos weichen und Städte nicht mehr der Profitmaximierung dienen, entstehen neue Räume der Begegnung und es eröffnen sich Chancen für ein solidarisches Miteinander.

 

Jeder Busch und jeder Baum, jedes Stück Park ist ein kleines Ökosystem und Heimat für Insekten, Fledermäuse, Vögel, Füchse, Igel, Mäuse und viele mehr. Einige können sich anpassen, ein Großteil jedoch findet weder Platz zum Leben noch genug zu essen. Straßen werden erweitert für noch mehr Auto-Verkehr, der die ineffektivste, gefährlichste und klimaschädlichste Mobilitätsform darstellt. Gentrifizierung nimmt nichtmenschlichen Tieren und Menschen den Wohnraum. Zusätzlich zu dieser passiven Verdrängung werden die Tiere in der Stadt auch noch aktiv bekämpft, etwa durch Taubenstacheln oder Giftfallen. Zur Bekämpfung von Wildschweinen, Waschbären oder Rotfüchsen werden sogar Stadtjäger*innen beauftragt, um diese Tiere gezielt zu töten. So wurden jüngst in Leipzig die am Fockeberg lebende Wildschweinmutter und ihre zwei Kinder aus reiner Willkür erschossen.

Soziale Ungerechtigkeiten im städtischen Raum

Die Strukturen der Städte wurden aus der Perspektive einer privilegierten, patriarchal geprägten Gesellschaft angelegt. So verwundert es nicht, dass sie keine sicheren Orte für Kinder, FLINTA*, Bi_PoC, behinderte Menschen, Menschen mit wenig Geld und nicht zuletzt auch nichtmenschliche Tiere sind. Kinder sind besonders gefährdet im Straßenverkehr übersehen und überfahren zu werden, FLINTA* sind sexualisierter Gewalt ausgesetzt, Bi_PoC erleben Racial Profiling und andere rassistische Übergriffe, behinderte Menschen werden mit zahlreichen Barrieren konfrontiert, Menschen mit wenig Geld sind von gesellschaftlicher Teilhabe häufig ausgeschlossen. Nicht-menschliche Tiere werden in der Verkehrsplanung praktisch komplett ignoriert – Marder, Waschbären, Igel, Vögel, Katzen und zahlreiche andere Tiere

Die soziale Ungerechtigkeit unserer heutigen Gesellschaft zeigt sich auch im Zugang zu den noch bestehenden Grünflächen, Gärten und noch halbwegs intakter Natur. Menschen mit viel Geld wohnen in den Vierteln mit mehr Grün, besserer Luft und weniger Verkehr. Wassergrundstücke und andere beliebte Orte sind oft Menschen mit viel Geld vorbehalten und schließen Menschen mit wenig Geld aus. Diese müssen hingegen in dicht gedrängten Wohnblocks und an viel befahrenen Straßen leben. Auch Verweilmöglichkeiten in den Innenstädten sind vorwiegend dem zahlungsfähigen Publikum in Cafés und Restaurants vorbehalten. Viele Bänke sind so gebaut, dass sie nicht zum Liegen geeignet sind, um Wohnungslose auszugrenzen und im Stadtbild möglichst unsichtbar zu machen. Zwar sind die Menschen in den weniger reichen Viertel meist kreativ und in der Lage, sich auf eigene Faust eine besondere Lebensqualität im städtischen Raum zu schaffen, allerdings oft nur, um letztlich von Gentrifizierungsprozessen vertrieben und weiter an den Rand gedrängt zu werden. Wir haben es satt, die Stadt den Kapitalinteressen von Investor*innen und Konzernen zu überlassen.

Reclaim the streets – Stadttransformation und Tierbefreiung zusammendenken

Anstatt Orte der Begegnungen und des guten Lebens für alle zu sein, sind die Städte im Zuge der kapitalistischen Moderne also zunehmend den Profitinteressen großer Laden-Ketten und dem automobilen Individualverkehr gewidmet worden. Nur ein konsequenter Umbau der Städte, unter Einbeziehung und Beteiligung aller, auch der nichtmenschlichen Bewohner*innen, kann ein gutes Leben für alle schaffen. Wenn die Autos weichen und Städte nicht mehr der Profitmaximierung dienen, entstehen neue Räume der Begegnung und es eröffnen sich Chancen für ein solidarisches Miteinander.

Von autofreien Städten profitieren nicht nur die Menschen, sondern auch unsere nichtmenschlichen Nachbar*innen. Wo heute Autos parken, würden Bäume wachsen, die Schatten spenden und Lebensräume für Fledermäuse und Amseln bieten. Kinder hätten Platz zum Spielen und es könnten bio-vegane Lebensmittel angebaut werden. Wo heute Autos fahren, würden Rad- und Fußwege weitaus weniger Fläche beanspruchen und zudem eine deutlich geringere Gefahr für Menschen und andere Tiere darstellen. Barrierefreier, kostenloser Nahverkehr würde Mobilität für alle gewährleisten.

Schon bestehende Ansätze, wie die architektonischen Konzepte der Kohabitation und des Animal Aided Designs, zeigen Wege, wie wir die nichtmenschlichen Tiere, mit denen wir uns die Stadt teilen, in den Strukturen der Architektur und Stadtentwicklung mit einbeziehen können. Nistmöglichkeiten für verschiedene Vogelarten können einfach in bestehende und neue Gebäude integriert werden, begrünte Dächer und Fassaden bieten Lebensraum für Wildbienen, Schmetterlinge und viele andere Insekten. Und auch die in den Häusern lebenden Menschen profitieren von der natürlichen Isolation durch die Pflanzen. Dabei darf Wohnraum kein Privileg sein, sondern muss allen frei zugänglich gemacht werden.

Kühleres Stadtklima

Die mit vielfältiger Vegetation durchzogenen Städte wirken im Sommer aktiv dem Überhitzen entgegen und sichern auch in Zukunft ein Überleben in urbanen Räumen. Durch Entsiegelung und umfangreiche Begrünung kann im Stadtgebiet auch mehr Wasser gespeichert werden. Für alle zugängliche Wasserstellen, wie Seen und Teiche, renaturierte Flüsse und Bäche, Trinkplätze und Trinkbrunnen bieten Badestellen, stillen Durst und stellen vielfältige Habitate für Libellen, Frösche, Fische und Molche dar.

Andere Tiere als Mitgestaltende / Selbstorganisation anderer Spezies

Die oben skizzierten möglichen Umgestaltungen der Städte müssen zwar vom Menschen initiiert werden, sollen aber kein Top-Down-Programm sein. Sie basieren auf der zunehmenden Einbeziehung der unterschiedlichen Bedürfnisse und der aktiven Mitgestaltung aller Stadtbewohner*innen. So müssen wir auch die anderen Tiere mit ihren Bedürfnissen und den von ihnen gestalteten Räumen und Strukturen ernst nehmen, deren Entfaltung ermöglichen und erleichtern und ihnen Raum (zurück-)geben. Wespennester, in Fassaden eingebaute Bruthöhlen von Mauerseglern, Erdhöhlen von Wildbienen, Tunnelsysteme von Kaninchen oder Staudämme von Bibern müssen genauso wie menschliche Gebäude Platz in den Städten finden. Die Beziehungen der Menschen zu anderen Tieren müssen auf Augenhöhe, Respekt und gegenseitiger Freiwilligkeit basieren.

Räume der Dedomestikation und Zusammenleben auf Augenhöhe

Die ökologisch, sozial- und multispeziesgerecht transformierten Städten würden auch für zuvor domestizierte Tiere neue Möglichkeiten der Selbstbestimmung und freien Entfaltung eröffnen. Die Züchtung von Tieren in der Fleisch-, Milch- und Eierindustrie als auch der „Heimtier“-Industrie würden im Zuge der Transformationsprozesse abgeschafft werden. Schließlich ist die kapitalistische Verwertung alles Lebendigen auch ein Selbstzerstörungsprogramm für uns Menschen und die schiere Hölle für die anderen Tiere. Da wir uns den Ausstieg aus der Züchtung und Gefangenhaltung von Tieren als sukzessiven Prozess vorstellen müssen, tragen wir gegenüber den domestizierten Kühen, Katzen, Hühnern, Schweinen, Puten, Hunden und allen anderen, die ohne jegliche menschliche Intervention nicht überleben können, eine besondere Verantwortung. Lebenshöfe zeigen, wie diesen Tieren in einem ersten Schritt ein Schutzraum geboten werden kann, der ihnen trotz der aus den langen Zuchtprozessen resultierenden Beeinträchtigungen ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Der transformierte städtische Raum eröffnet Möglichkeiten, diesen Tieren Schutz und Versorgung einerseits und freie Entfaltungsmöglichkeiten andererseits zu bieten. Dies wäre die Grundlage für eine Dedomestikation, also einen emanzipatorischen Prozess, an dessen Ende kein nichtmenschliches Tier mehr in unmittelbarer Abhängigkeit von menschlicher Willkür leben muss.

Solidarität und Kooperation statt Konkurrenz

Die Raumnahme des vermeintlich Stärkeren, wie wir sie heute durch Autos und Konzerne erleben, und das damit einhergehende Konkurrenzverhältnis aller gegen alle würden überwunden werden. In dem dadurch geschaffenen Freiraum könnten kooperative gesellschaftliche Verhältnisse und zwischenmenschliche sowie speziesübergreifende Beziehungen auf Augenhöhe entstehen. Wir glauben nicht, dass sich dann ein paradiesischer Zustand der vollkommenen Harmonie einstellen wird; sowohl zwischen den verschiedenen Tieren als auch zwischen Menschen und Menschen und anderen Tieren wird es weiterhin Interessenskonflikte geben. Der Rahmen, in dem die Aushandlung der Konflikte stattfindet, wäre allerdings ein gleichberechtigterer und möglichst frei von verstetigten Herrschaftsstrukturen. Die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Menschen, nichtmenschlichen Tieren und der Natur insgesamt würden anerkannt werden. Ausbeutung und Profit auf Kosten von anderen würden strukturell verhindert, da die Gewaltapparate von Kapital, Polizei und Militär Konzepten der transformativen Gerechtigkeit weichen würden. Diese multidimensional gedachte Gesellschaft der diversen menschlichen und nicht-menschlichen Gemeinschaften hätte dann auch eine viel größere Chance, die Biodiversitätskrise und Klimakatastrophe abzumildern und die kapitalistische Zerstörung sukzessive wieder gut zu machen.

Der Ausschluss und die Verdrängung marginalisierter Menschen und der mehr als menschlichen Natur muss überwunden und der Raum für Selbstorganisation, Entfaltung und Empowerment der diversen menschlichen und tierlichen Individuen und Gemeinschaften frei gemacht werden. Gemeinsam können wir das bestehende System überwinden, das auf Neokolonialismus, Ausbeutung und Zerstörung basiert. Für eine Zukunft, in der nichtmenschliche Tiere und Menschen gemeinsam miteinander leben. Miteinander statt nebeneinander. Für eine Zukunft, in der Platz für alle ist.

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