Keine Tierversuche für die Bekämpfung von COVID-19

(Hintergrundtext 1 / Forderungen des Bündnisses für gesellschaftliche Tierbefreiung im Kontext der Corona-Krise)

Keine Tierversuche für die Bekämpfung von COVID-19

Gegenwärtig arbeiten weltweit unzählige Forschungsinstitute und Unternehmen an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2. Die schnelle, globale und ausreichende Verfügbarkeit von wirksamen, hochwertigen und bezahlbaren Arzneimitteln und Impfstoffen ist ein wichtiger Bestandteil der Verwirklichung des Menschenrechts auf den „höchsten erreichbaren Stand an körperlicher und geistiger Gesundheit“ (Art. 12, UN- Sozialpakt 1966). In der vorherrschenden Forschungspraxis, die vor allem auf Tierversuche zurückgreift, wird jedoch eine zentrale Grundüberzeugung einer progressiven Politik missachtet: dass dem eigenen Leben nicht das Leben anderer geopfert werden darf.

Dieser Grundsatz eines solidarischen Zusammenlebens wird im politischen Alltag und verstärkt auch in der Corona-Situation bereits im zwischenmenschlichen Bereich im Zuge einer rassistischen, nationalistischen, kapitalistischen oder altersdiskriminierenden Politik übergangen: Menschen, die sich in Booten auf der Flucht befinden, lässt man wissentlich ertrinken, Menschen in Flüchtlingslagern werden ihrem Schicksal überlassen, das Menschenrecht auf Asyl wird ausgesetzt, die Arbeitssituation insbesondere von Arbeitsmigrant*innen noch weiter verschlechtert, alte Menschen werden teilweise in Krankenhäusern nicht mehr weiter medizinisch versorgt und so weiter. Dies alles mit Verweis auf den angeblichen Schutz und das Wohl einer nationalen, demografischen oder nach anderen politisch motivierten Kriterien gebildeten Gruppe. Wo die Zustimmung oder das Schweigen um sich greift, Menschen und Tiere zu werten und zu hierarchisieren oder andere zum bloßen Mittel für eigene Zwecke zu machen, ist die Barbarei nicht weit. Tiere als Mittel für ihnen fremde Zwecke zu verwenden, ist geschichtlich wie aktuell in unserer Gesellschaft gar so weit verbreitet, dass dies nur selten zur Diskussion gestellt wird. Insbesondere wenn es um Tierversuche in der Medizin geht, wird einer ablehnenden Haltung meist mit absolutem Unverständnis begegnet.

Tierversuche sind grausam und ethisch nicht zu rechtfertigen. Und sie haben kommerzielle Gründe. „Versuchstier“-Zuchten, Pharmaunternehmen und Zulieferbetriebe arbeiten wie alle Unternehmen im Kapitalismus profitorientiert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellt angesichts der aktuellen COVID-19-Notsituation zusätzliche Fördermittel in Höhe von 305 Millionen Euro zur Verfügung; sowohl für die Erforschung des SARS-CoV-2, als auch für die Entwicklung und Testung von Medikamenten und Impfstoffen. Die sich seit 1979 für eine tierversuchsfreie Medizin einsetzende Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche e.V. gibt an, dass es „starke Hinweise darauf [gibt], dass ein großer Teil dieser Sonderfördergelder in Tierversuche fließen“.1

Wieviele Tiere derzeit im Wettstreit um die Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffs gequält und getötet werden, lässt sich nicht einmal erahnen. Wie alle Waren, die in der Corona-Situation stark nachgefragt werden, dürfte auch die „Produktion“ von „Versuchstieren“ hochgefahren worden sein, um die Forschungseinrichtungen zu versorgen. Die Kritik, Tiere zum Mittel für Zwecke des Menschen zu machen, ist indessen sehr leise geworden. Dies unter anderem, weil die gesellschaftlichen Bedingungen uns so sehr daran gewöhnt haben, Andere für unsere Zwecke zu benutzen, dass wir kaum mehr die Frage stellen, ob es nicht Möglichkeiten unseres Zusammenlebens, unseres Wirtschaftens und Forschens gibt, ohne Andere zu schädigen und zu unterwerfen. Es könnte und müsste zum Beispiel die tierversuchsfreie Forschung ausgebaut und weit mehr finanziell unterstützt werden. Die Tierversuchsforschung und damit auch ihre Förderung ist hingegen einzustellen.

Mit tierversuchsfreien Testmethoden wie Computermodellen, menschlichen Zellkulturen, MIMIC und Organchips lassen sich sogar genauere Ergebnisse erzielen und kein Lebewesen muss dafür leiden. Neben politischen und ethischen stehen Tierversuche somit auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten in der Kritik. So gibt der in den vergangenen Monaten in den Medien oft zu Wort kommende Virologe Christian Drosten (Virologie-Institut, Charité) an, dass es sehr schwer sei, ein geeignetes „Tiermodell“ für den Corona-Impfstoff zu finden: „Das Immunsystem der Tiere unterscheidet sich zum Teil von jenem des Menschen. Häufig ist das Krankheitsbild bei den Versuchstieren gar nicht ausgeprägt.“2 Es gibt auch Beispiele, wo sich das Problem der mangelnden Übertragbarkeit umgekehrt verhält: So waren z.B. bereits rund hundert Impfstoffe gegen HIV im „Tiermodell“ wirksam, jedoch keiner davon beim Menschen.3

Die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche e.V. erklärt, dass „95 % der potenziellen Arzneimittel, die sich im Tierversuch als wirksam und sicher erwiesen haben, (.) nicht durch die klinische Prüfung am Menschen [kommen], entweder wegen mangelnder Wirkung oder wegen unerwünschter Nebenwirkungen.4 Sie fordern einen Paradigmenwechsel hin zu einer tierversuchsfreien biomedizinischen Forschung, die „schnell, zuverlässig und humanrelevant ist und uns jetzt helfen könnte, innerhalb kürzester Zeit Wirkstoffe zu finden“.5

Die Corona-Situation gehört zu den tiefgreifenden Krisen unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Wie beispielsweise auch die Klimakrise steht sie im engen Zusammenhang mit den kapitalistischen Bedingungen unserer Produktion und Reproduktion. Die Krisen werfen alte gesellschaftliche, politische und philosophische Fragen neu auf. Wir sind gemahnt, dass wir dieses Mal Antworten finden, die der Überzeugung gerecht werden, dass alle – und zu diesen allen gehören auch die Tiere – das gleiche Recht auf Freiheit, Leben und Solidarität haben. Dass im Falle der Corona-Krise diese erst durch die vom Menschen verursachte Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen von frei lebenden Tieren, durch deren Bejagung, Fang und Verkauf auf Märkten ausgelöst wurde und jetzt durch Experimente an Tieren für die Gesundheit des Menschen unschädlich gemacht werden soll, macht das Elend der Tiere und das Erfordernis ihrer Befreiung nur noch deutlicher.


1 https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/neuigkeiten/3159-extra-geld-fuer-tierversuche
2 https://www.ardaudiothek.de/coronavirus-update-mit-christian-drosten/genbasierte-impfstoffe-haben-potenzial-26-einschaetzung-des-virologen/73979934
3 https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/infos/tiefergehende-infos/wissenschaftliche-studien/1092-tierversuchekoennen-reaktionen-des-menschen-nicht-vorhersagen
4 https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/infos/allgemeine-infos/allgemein/248-warum-tierversuche-nicht-noetigsind
5 https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/helfen/kampagnen/3144

5 https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/helfen/kampagnen/3144

Beitragsbild: © Vasiliy Koval/dollarphotoclub