Forderungskatalog vom Bündnis für gesellschaftliche Tierbefreiung zu Maßnahmen während und nach der Corona-Krise

Forderungen des Bündnisses für gesellschaftliche Tierbefreiung im Kontext der Corona-Krise

Die Ursachen der Corona-Krise bekämpfen – deren Folgen solidarisch begegnen – den gesellschaftlichen Umbau vorantreiben – Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur beenden!

An der Infektion mit dem SARS-CoV-2 sind seit dem Ausbruch im Dezember 2019 weltweit mehr als 360.000 (https://coronavirus.jhu.edu) Menschen gestorben. In vielen Fällen wäre ein tödlicher Verlauf dieser Krankheit vermeidbar gewesen, wenn die Gesundheitssysteme nicht neoliberaler Sparpolitik zum Opfer gefallen wären. Doch auch die Entstehung der Covid-19-Pandemie selbst hat gesellschaftliche Ursachen. Ein auf Ausbeutung basierendes Verhältnis von Menschen zu nicht-menschlichen Tieren1 sowie zur Natur hat einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung solcher Pandemien.

Während Regierungen zahlreiche Konzerne, Unternehmen, Betriebe und ganze Wirtschaftszweige retten und unterstützen, tragen die Hauptlast dieser Krise wieder einmal diejenigen, die ohnehin schon ganz unten in der Gesellschaft stehen. Es sind die Menschen ohne Krankenversicherung, Menschen die sich auf der Flucht befinden, die in Lager und Knäste gesperrt werden, diejenigen die hungern und in Elend leben, die trotz schlechter Gesundheitsvorsorge, hohem Ansteckungsrisiko und geringen Löhnen zur Arbeit gehen müssen, die alleinerziehend sind, die zu Hause Gewalt erfahren oder auf der Straße leben. Es sind aber auch Tiere, z.B. in Zoos und Zirkussen, vor allem aber in Tierversuchslaboren und in der Tierproduktion2.

An diesen und vielen anderen Orten geht es darum, dass Tiere einen Zweck zu erfüllen haben. Einen Zweck, der vom Menschen vorgeschrieben wird, indem er all diese Tiere kontrolliert, beherrscht, benutzt, ausbeutet und tötet, wann und wie immer es ihm beliebt. Die Corona-Pandemie verschärft für viele Tiere ihre bereits elende Situation. Die Tierversuchszahlen zur Pandemie-Bekämpfung steigen, Tiertransporter müssen längere Zeit fahren, Zoos stellen Pläne für sogenannte Notschlachtungen auf – und dies sind nur wenige Beispiele.

Mehrere Aktivist*innen haben sich zum Bündnis für gesellschaftliche Tierbefreiung zusammengeschlossen, um im Kontext der Corona-Krise Forderungen zu formulieren, die für uns Wege aus der Krise aufzeigen. Aufgrund der aktuellen Lage machen wir hier insbesondere Bereiche und Probleme sichtbar, die in bisherigen Debatten über Ursachen und Auswirkungen der Corona-Krise vernachlässigt wurden. Gemeinsam richten wir unsere Forderungen an die Politik und Gesellschaft. Wir sind der Überzeugung, dass diese Welt auch nach der Krise nicht wieder in den vorherigen Zustand versetzt werden darf. Es liegt an uns allen, das vorhandene Potential der Krise zu nutzen, nach vorne zu gehen und für progressive Veränderungen zu streiten.

Daher fordern wir einen grundlegenden sozialen Wandel hin zu einer Gesellschaft, in der Ausbeutung, Unterdrückung und soziale Ausschließung aller Menschen wie Tiere und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen beseitigt sind. Hinsichtlich des gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisses ist dieser soziale Wandel durch folgende, teils direkt auf die Corona-Situation bezogene, teils allgemeine Maßnahmen zu unterstützen:

· Keine Finanzspritzen für tiernutzende Betriebe, Unternehmen oder Konzerne, z.B. in der Landwirtschaft (Fleisch-, Milch-, Eier-, Futtermittelproduktion, etc.) oder der Unterhaltungsbranche (Zoos, Zirkusse, Delfinarien, etc.)

· Koppelung aller Corona-Rettungspakete an tiernutzungsfreie, soziale und ökologische Kriterien

· Keine staatlichen Unterstützungsmaßnahmen bei Überproduktion von Waren tierlichen Ursprungs durch Ankauf, Einlagerung, Vernichtung oder Export

· Keine Tierversuche für die Bekämpfung von Covid-19 [siehe Hintergrundtext 1]

· Keine Tötungen von Tieren aufgrund von Corona-bedingten Betriebseinschränkungen in der Tierproduktion

· Keine Schlachtung von Tieren in Zoos, Tierparks, Delfinarien oder ähnlichen Einrichtungen als Sparmaßnahmen aufgrund ausbleibender Eintrittserlöse

· Sicherstellung der Unterbringung und Versorgung aller Tiere aus den Bereichen Tierproduktion und Unterhaltungsbranche, die nicht „ausgewildert“ werden können, auf Lebenshöfen oder in ähnlichen Einrichtungen

· Keine Lockerungen der ohnehin unzureichenden bestehenden und anstehenden Verordnungen innerhalb der Landwirtschaft (z.B. Düngemittelverordnung), in der Tierproduktion (z.B. Tierschutzvorgaben) und der Pharmabranche (z.B. Tierschutzstandards bei Tierversuchen, Verkürzungen der Genehmigungsverfahren für Tierversuche)

· Keine Aushöhlung der Einwendungsmöglichkeiten bei Genehmigungsverfahren für neue oder zu erweiternde Tierhaltungsanlagen

· Sofortige Umverteilung aller in der Tierproduktion genutzten Antibiotika, die für die menschliche Medizin nutzbar sind, an Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken und Pflegeeinrichtungen

· Vergesellschaftung der Pharmaindustrie und damit verbunden: Umbau des Gesundheits- und Pflegesystems hin zu einer tierversuchsfreien, veganen und solidarischen Praxis

· Aufklärung über die gesundheitlichen Risiken der Produktion und des Konsums von Tierprodukten

[siehe Hintergrundtext 2: Zoonosen]

· Erhalt und Sicherung intakter Ökosysteme und Lebensräume

· Sofortiger Stopp der Abholzung von Urwäldern zur Futtermittelgewinnung

· Kein Jagen, Einfangen und Verzehren von Tieren

· Umwandlung von Monokulturen in Ökosysteme mit hoher Biodiversität

· Schließung aller Tierproduktionsanlagen zur Vermeidung von Erregervermehrung und Übertragung

· Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels und das damit verbundene Artensterben abzuwenden

· Keine weiteren Einschränkungen der Grundrechte, sondern schnellstmögliche Wiedereinführung unter Rücksichtnahme auf notwendige Maßnahmen zum Infektionsschutz

· Keine Ausweitung von Befugnissen der Polizei- und Sicherheitsbehörden zur Überwachung von Telekommunikation und weiteren Teilen des gesellschaftlichen Lebens (z.B. Videoüberwachung)

· Sofortige Schließung von Tierproduktionsbetrieben zur Vermeidung von Ansteckungen

· Finanzielle und soziale Absicherung der Arbeiter*innen bei Lohnausfall wegen Betriebsschließungen durch Arbeitgeber*innen

· Finanzierung medizinischer Versorgung durch die Betriebe und Unternehmen

· Sofortige Sicherstellung von menschenwürdigem und bezahlbaren Wohnraum für Arbeitsmigrant*innen

· Sofortige Beendigung prekärer Arbeitsverhältnisse: Verbot von Leiharbeit und von Werkverträgen bei Aufgaben, die zum Kerngeschäft des Betriebes gehören; gerechte Bezahlung und soziale Absicherung

· Durchsetzung eines umfangreichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes

· Gewährleistung der üblichen Arbeitnehmer*innenrechte wie Betriebsratswahl, kollektive Organisation, Streik und Kündigungsschutz

· Angebote von Umschulungs- und Ausstiegsprogrammen, finanziert von den Betrieben und der öffentlichen Hand

Der gesamte Bereich der Lebensmittelproduktion und -verteilung ist statt nach Wettbewerbskriterien gemäß folgender Ziele und Werte zu organisieren: Solidarität, Gleichheit und Gerechtigkeit, Beseitigung von Elend, Armut und Hunger sowie Beendigung der Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur. Hierfür sind verschiedene kurz- und langfristige Maßnahmen zu ergreifen, hierunter:

· Finanzielle und ideelle Förderung solidarischer Produktions- und Verteilungsstellen im Lebensmittelbereich, z.B. (bio-vegane) Solidarische Landwirtschaften, Lebensmittelkooperativen,  Verbraucher*innengemeinschaften

· Umbau aller Flächen, die bisher zur Futtermittelproduktion oder Tierhaltung genutzt wurden, zu bio-veganen Landwirtschaftsflächen, um pflanzliche Lebensmittel zu erzeugen; Umwidmung freiwerdender Flächen nach klima- und umweltgerechten Prinzipien

· Die kapitalistische Produktionsweise ist zu beenden. Auf dem Weg dahin: Vergesellschaftung aller Betriebe und Unternehmen, die für die Grundversorgung der Menschen relevant sind. Dies beinhaltet den unentgeltlichen und gleichen Zugang aller zu Lebensmitteln (und deren Anbauflächen), Wasser, Energie, medizinischer Versorgung, Bildung. Der Zugang zu diesen dann als Gemeingüter verstandenen Ressourcen ist stets im Sinne einer regionalen wie globalen, generationenübergreifenden, tier- und umweltorientierten Ressourcengerechtigkeit zu verstehen. Die Vergesellschaftung ist somit unausweichlich mit einer Umwandlung der Produktion verknüpft, die diese Aspekte verwirklicht, so z.B. in eine tiernutzungsfreie Produktion

· Generelle Beendigung des Handels mit Tieren und Tierprodukten

· Rücknahme und keine Unterzeichnung von (neokolonialen) Freihandelsabkommen, die unter anderem zur Stärkung der Tierproduktion und Ausbeutung von Menschen eingerichtet wurden bzw. werden sollen; so bspw. das EU-Mercosur Abkommen

· Entschädigung und Unterstützung von Indigenen, die durch expansive Tierproduktion Land verloren haben und politisch verfolgt wurden bzw. werden

· Einstellung aller Subventionen, die bisher tiernutzenden, klima- und umweltschädlichen sowie sozial ungerechten und Menschenrechte verletzenden Unternehmen, Betriebe und Produktionszweigen gewährt wurden. Subventionen umfassen hier alle Leistungen aus öffentlichen bzw. staatlichen Mitteln wie auch Steuervergünstigungen und Gebührenermäßigungen oder -befreiungen

· (Wieder-)Aufbau von Ökosystemen (z.B. Aufforstungen, Vernässung ehemaliger Moore) auf freiwerdenden Flächen aus der Tier- und Futtermittelproduktion

· Einstellung jeglicher Patentierung auf Pflanzen, Tiere, Medikamente etc.

· Tierrechte und gesellschaftliche Befreiung der Tiere verwirklichen

· Tiere prinzipiell an allen sie betreffenden Angelegenheiten und Entscheidungen beteiligen.
Hierfür: Sofortige Einführung des Verbandsklagerechts für Tierrechts- und Tierbefreiungsorganisationen, die die Bedürfnisse und Interessen der Tiere vertreten

· Finanzielle und ideelle Unterstützung von Lebenshöfen, Tierheimen, sogenannten Auswilderungs- und Auffangstationen während der Corona-Krise und darüber hinaus

[Stand: 30. Mai 2020]

[1] Der Begriff „nichtmenschliche Tiere“ betont, dass der Mensch auch eine der vielen (Säuge-)Tierarten auf dieser Erde ist. Wir verwenden aus Gründen der Lesbarkeit im weiteren Text anstelle des Begriffs „nicht-menschliche Tiere“ den in der vorherrschenden Praxis verwendeten Begriff „Tiere“

[2] Der Begriff „Tierproduktion“ bezeichnet hier alle wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Herstellung sogenannter Tierprodukte (Fleisch, Milch, Eier), Weideflächen, Futtermittelproduktion.

Hintergrundtexte